Abwärtstrend bei Börsenpreisen für Strom und Erdgas – Jetzt die Beschaffungsstrategie wechseln?

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In den letzten Monaten war ein deutlicher Abwärtstrend bei den Börsenpreisen für Strom und Erdgas zu verzeichnen. Gegenüber den Höchstwerten aus dem Sommer des letzten Jahres haben die Terminmarktpreise für Strom zeitweise um mehr als 10,00 €/MWh und die Terminmarktpreise für Erdgas um mehr als 5,00 €/MWh nachgegeben. Viele Energieversorger nutzen die aktuelle Marktsituation, um ihren Kunden neue Lieferverträge für die kommenden Jahre anzubieten. Als Alternative bzw. Ergänzung zu einer Strombeschaffung über Terminmarktprodukte wird den Kunden dabei häufig eine Einbindung von Spotmarktanteilen in die Preisbildung nahegelegt. Die Argumente der Lieferanten klingen auf den ersten Blick vielversprechend. Aber ist die Energiebeschaffung am Spotmarkt tatsächlich für alle Kunden ein geeignetes Vertragsmodell? Wir beleuchten die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Beschaffungsstrategien.

Terminmarkt und Spotmarkt – Die Grundlagen

Grundsätzlich ist im Energiehandel zwischen dem Terminmarkt und dem Spotmarkt zu unterscheiden. Am Terminmarkt erfolgt ein längerfristiger Handel für zukünftige Lieferzeiträume, wie zum Beispiel die nächsten Monate, Quartale oder Kalenderjahre. Mit Terminmarktkontrakten können also die voraussichtlich benötigten Energiemengen für die Zukunft bereits frühzeitig preislich abgesichert werden. Ein liquides Handelsgeschehen findet dabei in der Regel bis zu drei Jahre in die Zukunft statt. Maßgebend für die Preisentwicklung am Terminmarkt sind mittel- oder längerfristige Erwartungen zur Marktentwicklung. Dabei spielen also zum Beispiel Faktoren wie Konjunkturprognosen, CO2-Preise, politische Einflüsse oder die erwartete Verfügbarkeit der Primärenergieträger eine wichtige Rolle. Die Preisentwicklung in den letzten Jahren ist im nachfolgenden Diagramm am Beispiel der Strompreise für das jeweils folgende Kalenderjahr (Frontjahr) dargestellt.

Im Unterschied zum Terminmarkt werden am Spotmarkt kurzfristige Preise für einzelne Stunden des nächsten Tages (Day-Ahead-Markt) bis hin zu Viertelstunden noch für den gleichen Tag (Intraday-Markt) gehandelt. Die Energiehändler nutzen die Spotmarktgeschäfte um die kurzfristigen Lastprognosen für ihre Kunden möglichst exakt abzubilden und ihre Bilanzkreise ausgeglichen zu halten. Mit zunehmendem Anteil der Stromerzeugung aus Wind und Sonne werden die Preise am Spotmarkt immer stärker durch die Witterung bestimmt. So stellen sich in Zeiten hoher Wind- bzw. Photovoltaikeinspeisung bei gleichzeitig niedriger Stromnachfrage bereits regelmäßig negative Spotmarktpreise ein. Im Gegenzug werden bei hohem Strombedarf in Zeiten einer sogenannten Dunkelflaute – also bei geringem Windaufkommen und gleichzeitiger Dunkelheit – zum Teil Preise von über 100,00 €/MWh für einzelne Stunden erreicht. Die Entwicklung der EPEX-Spotmarktpreise aus den Jahren 2018 und 2019 ist in der nachfolgenden Grafik dargestellt. Mit der weiteren Abschaltung konventioneller Erzeugungskapazitäten dürfte die Volatilität der Spotmarktpreise in den kommenden Jahren weiter zunehmen.

Welche Strategie zur Energiebeschaffung ist sinnvoll?

Das nach wie vor häufigste Vertragsmodell bei der Energiebeschaffung für Sondervertragskunden ist der sogenannte Stichtagspreis mit fest vereinbarten Energiepreisen für Laufzeiten von ein, zwei oder drei Jahren. Die Preiskalkulation für diese Verträge erfolgt maßgeblich auf Basis der Terminmarktpreise für den jeweiligen Lieferzeitraum zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Vorteil des Stichtagspreises ist, dass bereits frühzeitig eine Preisabsicherung für die Zukunft realisiert werden kann. Allerdings bringt eine entsprechend langfristige Preisbindung auch ein Risiko mit sich. Denn regelmäßig steht die Frage im Raum, wann denn ein guter Zeitpunkt für den Vertragsabschluss ist. Um dieses Marktpreisrisiko einzugrenzen, gehen viele Unternehmen – insbesondere bei einem größeren Energiebedarf von mehreren Millionen Kilowattstunden – dazu über, die benötigten Energiemengen nicht an einem Stichtag, sondern verteilt über mehrere Zeitpunkte einzukaufen. Bei derartigen Tranchenverträgen erfolgt ebenfalls eine Preisbildung über die Terminmarktpreise für die jeweiligen Lieferzeiträume. Wesentlicher Unterschied zum Stichtagspreis ist lediglich, dass hinsichtlich des Zeitpunkts der Beschaffung nicht alles auf eine Karte gesetzt wird.

Nachdem das Marktpreisniveau in den letzten Wochen gefallen ist, schlagen einige Energielieferanten ihren Kunden eine zumindest teilweise Umstellung der Energiebeschaffung auf den Spotmarkt vor. Bei diesem Vertragsmodell wird der Strom für einen Liefertag jeweils erst am Vortag der Belieferung eingekauft, sodass sich der Strompreis erst während des Lieferzeitraums bildet. Man verzichtet dabei also auf eine längerfristige Preisfixierung.

Wesentliches Argument der Anbieter ist, dass über diesen Weg Preisvorteile realisiert werden können. Die Preisvergleiche, die dabei angestellt werden, sind aber häufig wenig aussagekräftig. „Am Spotmarkt lag der durchschnittliche Strompreis für Januar 2020 nur bei rund 35,00 €/MWh. Dagegen kostet das Baseload für das Jahr 2021 am Terminmarkt aktuell zwischen 40,00 und 45,00 €/MWh“, lautet eine typische Aussage. Hier werden also die Spotmarktpreise für einen Lieferzeitraum mit den Terminmarktpreisen für einen anderen Lieferzeitraum verglichen. Ein klassischer Fall von Äpfeln und Birnen. Für einen korrekten Preisvergleich müssen die Spot- und die Terminmarktpreise für die jeweils gleichen Lieferzeitraume gegenübergestellt werden. Allerdings ist dies immer nur rückblickend möglich. Darüber hinaus hängt das Ergebnis eines solchen Vergleichs natürlich davon ab, welchen Zeitpunkt man für den Terminmarkteinkauf berücksichtigt.

Im nachstehenden Diagramm sind die durchschnittlichen Spotmarktpreise für die Jahre 2017, 2018 und 2019 den höchsten, mittleren und niedrigsten Terminmarktpreisen für die betreffenden Lieferjahre aus dem vorangegangenen Handelsjahr gegenüber gestellt.

Die Auswertung zeigt, dass Kunden mit einer Spotmarktbeschaffung im Jahr 2019 eher am unteren Ende der Preisspanne des Terminmarkts aus dem Vorjahr lagen. Für das Jahr 2018 war eine Eindeckung über den Spotmarkt aber deutlich teurer als ein Terminmarktabschluss am ungünstigsten Tag in 2017. Die Aussage, dass der Spotmarkt immer zu Einsparungen gegenüber der Beschaffung über den Terminmarkt führt, ist also nicht korrekt. Vielmehr lässt sich festhalten, dass der Spotmarkt sicherlich eine Chance für günstige Energiepreise darstellt, aber gleichzeitig auch das Risiko gegenläufiger Entwicklungen mit sich bringt.

Vertragsbedingungen häufig undurchsichtig

Neben den avisierten Kostenvorteilen werben Anbieter von Spotmarktverträgen häufig mit der Transparenz des Beschaffungsmodells. Allerdings sind die Preisbestimmungen und die weiteren Vertragsbedingungen in den vorgelegten Musterverträgen aus Kundensicht in vielen Fällen nur schwer zu durchblicken. So werden neben dem eigentlichen Dienstleistungsentgelt zum Teil Prognoserisiken im Hinblick auf Ausgleichsenergiezahlungen auf die Kunden verlagert sowie Klauseln zu möglichen Preiserhöhungen oder automatischen Vertragsverlängerungen im Kleingedruckten versteckt. Darüber hinaus sind die monatlichen Rechnungen bei Spotmengenlieferungen aufgrund der starken Preisschwankungen für die Kunden nur schwer nachvollziehbar.

Welche Strategie ist die richtige?

Die „eierlegende Wollmilchsau“ – also eine Beschaffungsstrategie, die für alle Kunden richtig ist und immer zu den besten Energiepreisen führt – gibt es leider nicht. Sowohl der Stichtagspreis als auch die Tranchenbeschaffung oder die Einbindung von Spotmarktanteilen bringen Vor- und Nachteile mit sich. Je nach Marktsituation kann mal die eine und mal die andere Strategie zum besseren Energiepreis führen. Wichtig ist, dass die gewählte Strategie zu den individuellen Randbedingungen eines jeden Kunden passt. So ist eine Spotmarktbeschaffung für ein Unternehmen, dem langfristige Planungssicherheit wichtig ist, voraussichtlich nicht das richtige Modell. Ein energieintensives Unternehmen, das nah am Markt agieren muss, wird dagegen wohl keinen langfristigen Stichtagspreis abschließen.

Grundsätzlich ist anzumerken, dass nicht nur das Beschaffungsmodell oder der Zeitpunkt des Einkaufs über den realisierbaren Energiepreis entscheiden. Die Erfahrungen von ISPEX aus der Energiebeschaffung für zahlreiche Unternehmen zeigen, dass zum Teil erhebliche Preisdifferenzen zwischen den verschiedenen Anbietern auftreten – nicht nur im Bereich der Stichtagspreise. Bei Tranchenmodellen oder Verträgen mit Spotmarktanteil unterscheiden sich die Dienstleistungsentgelte der verschiedenen Lieferanten ebenso deutlich. Darüber hinaus sollten die allgemeinen Vertragsbedingungen intensiv geprüft werden, um Risiken zu vermeiden.

Gern bespricht Ihr ISPEX-Energiemanager die Vor- und Nachteile der einzelnen Beschaffungsstrategien mit Ihnen, prüft etwaige Vertragsangebote für Sie und führt auf Wunsch eine Ausschreibung zur Ermittlung des bestmöglichen Vertragspartners für das gewählte Konzept durch.

Titelbild: bongkarn thanyakij via pexels unter free use ; Screenshot und Montage ISPEX

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Andreas Seegers

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