Energiemarkt-Kommentar: Gas aus Russland – naht das Ende?

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Im Mai wird ein Szenario wieder konkret, das die Händler an den Börsen für Strom und Gas seit Beginn des Krieges in der Ukraine umtreibt: weitere Ausfälle russischer Gaslieferungen via die Ukraine in die EU. Auslöser ist ein Gerichtsurteil, welches voraussichtlich dazu führen wird, dass der Geldfluss von Österreich an Gazprom versiegt. Als Preistreiber zeigt sich überdies einmal mehr eine Rallye am EUA-Markt. Und nicht zuletzt sorgt extreme Hitze in Südasien für Auftrieb an den globalen LNG-Märkten.

Strombörse: Frontjahr erstmals seit Oktober wieder oberhalb von 100 €/MWh

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Preisentwicklung Strom Phelix Base und Peak für das Jahr 2025 (Quelle: EEX)

Angetrieben von einer Rallye am EUA-Markt steigt der Strompreis für das Frontjahr DE Base 2025 innerhalb des ersten Handelstages im Mai um 5 % auf 93,71 €/MWh. Mit diesem Preisniveau deutlich oberhalb der Marke von 90 €/MWh nähert sich die Notierung den diesjährigen Spitzenwerten von Mitte April, als die Krise im Nahen Osten sowie die russischen Angriffe auf ukrainische Gasspeicher zu einem Anstieg von DE Base 2025 bis auf maximal 97,49 €/MWh geführt hatten.

Im weiteren Verlauf der ersten Monatshälfte stabilisiert sich die Notierung im Korridor von rund 92 €/MWh und 95 €/MWh. Die obere Grenze dessen wird an Tagen erreicht, an denen sich die geopolitische Lage erneut zuspitzt. Am 6. Mai wird bekannt, dass israelische Truppen einen Einmarsch in die Stadt Rafah in Gaza vorbereiten. Am selben Tag beginnt Russland mit einer Übung für den Einsatz taktischer Atomwaffen nahe der ukrainischen Grenze. Diese findet offenbar auch mit Blick auf den nahen Feiertag in Russland am 9. Mai zum „Tag des Sieges“ über Nazideutschland statt. Ein Tag, der Beobachter befürchten lässt, dass der russische Staatschef die Feierlichkeiten nutzt, um eine weitere Eskalation im Krieg mit der Ukraine anzukündigen. Dazu kommt es allerdings nicht und DE Base 2025 fällt bis zum 13. Mai auf das Monats-minimum von 91,82 €/MWh.

Mit Beginn der zweiten Monatshälfte kommt es im Energiekomplex abermals zu einer Aufwärtsbewegung. So setzt sich der mittelfristige Aufwärtstrend fort, der nun schon seit Ende Februar andauert. DE Base 2025 übersteigt am 22. Mai erstmals seit Anfang Dezember 2023 wieder die Marke von 100 €/MWh. An diesem Tag teilt der österreichische Energiekonzern OMV mit, dass mit einem baldigen Versiegen der russischen Gaslieferungen zu rechnen sei. Dies als Folge (einer noch ausstehenden Vollstreckung) eines Gerichtsur-teils im EU-Ausland, demnach das Unternehmen offene Rechnungen von Gazprom nicht an eben diesen Konzern, sondern an eine (nicht benannte) dritte Partei in der EU überweisen muss, um dessen Forderung an Gazprom zu bedienen.

Das bullishe Momentum geht in dieser Zeit allerdings auch vom LNG-Markt aus. Die Nachfrage nach verflüssigtem Erdgas zieht in Asien stark an, nachdem in Teilen Südasiens die Temperaturen bis auf über 50 ℃ angestiegen sind. Derweil tätigen die Importeure Nordostasiens u.a. in China weiter Zukäufe für die eigene Lagerhaltung. Ausfälle in der LNG-Produktion der Länder Australien sowie Malaysia sorgen im Mai zusätzlich für Anspannung. Am 27. Mai steigt DE Base 2025 auf das Monatsmaximum von 101,15 €/MWh bevor die Notierung etwas nachgibt und den Monat mit 97,49 €/MWh beendet.

Im Monatsmittel kostet der Kurs 95,96 €/MWh und somit rund 10 % mehr als noch im April. DE Base 2026 legt um 6,3 % zu auf 82,83 €/MWh. Bei DE Base 2027 beträgt das Plus 5,1 % mit 72,90 €/MWh. Am Spotmarkt kostet DE Base Day Ahead im Monatsmittel 67,21 €/MWh – das sind 7,8 % mehr als im Vormonat bzw. 17,8 % weniger als noch im Mai 2023.

Gasbörse: OMV warnt vor Ende der Lieferungen durch Gazprom

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Preisentwicklung Erdgas THE für das Jahr 2025 (Quelle: EEX)

Am ersten Handelstag im Mai steigt der Gaskurs für Lieferungen im Frontjahr im Schlepptau des EUA-Marktes erstmals seit Mitte April über die Marke von 35 €/MWh mit einem Schlusskurs von 36,20 €/MWh. Am nächsten Tag, dem 3. Mai, erreichen eine gute und eine schlechte Nachricht aus den USA die europäischen Energiemärkte. Bearish wirkt die Mitteilung von Venture Global, demnach das neue LNG-Terminal Plaquemines mit zunächst 10 Mio. t/a (Mtpa) bereits im Sommer den Betrieb aufnehmen soll. Dies würde die Peak-Exportkapazität der USA auf einen Schlag um gut 10 % erhöhen.

Weniger erfreulich ist eine weitere Verzögerung beim Projekt Golden Pass von QatarEnergy und ExxonMobil. Der Start von 15 Mtpa soll nun erst im zweiten Halbjahr 2025 erfolgen. Bisher wurde noch eine Inbetriebnahme für das erste Halbjahr 2025 erwartet. Der LNG-Kurs für Lieferungen nach Nordwesteuropa im Juni 2025 macht innerhalb eines Tages einen Satz nach oben um 7,1 %. THE 2025 legt erst am darauffolgenden Handelstag, dem 6. Mai, kräftig zu auf einen vorläufigen Hochpunkt von 36,62 €/MWh.

Hinzu kommt an diesem Tag die geopolitische Großwetterlage. Russland beginnt in der Nähe zur ukrainischen Grenze mit Übungen zum Einsatz von taktischen Atomwaffen. Und Israel trifft Vorbereitungen für die schon lange angekündigte Invasion in die Stadt Rafah in Gaza. Somit rücken die Risiken für den Gastransit durch die Ukraine sowie für die LNG-Exporte Katars durch die Straße von Hormus plötzlich wieder in den Fokus der Marktteilnehmer.

Wenige Tage später am 9. Mai finden in Russland die alljährlichen Feierlichkeiten zum Tag des Sieges über Nazideutschland statt. Dieser geht mit Sorgen einher, Machthaber Putin könnte den Tag für Ankündigungen nutzen, die zu einer weiteren Eskalation im Ukrainekrieg führen. Dazu kommt es allerdings nicht und THE 2025 fällt bis zum 13. Mai auf das Monatsminimum von 35,59 €/MWh.

Bullishe Signale folgen anschließend aus Fernost. Am 14. Mai wird bekannt, dass China mit der schrittweisen Ausgabe von außerordentlichen Anleihen in einem Volumen von ca. 138 Mrd. USD beginnen wird, um mit den Einnahmen die schleppende Entwicklung der Volkswirtschaft zu stützen, insbesondere durch die Finanzierung von Infrastrukturprojekten. Diese sollen dem angeschlagenen Bausektor des Landes bzw. den damit verbundenen (und energieintensiven) Industrien wie Stahl- oder Zementerzeugung einen teilweisen Ausgleich zur fortwährenden Krise im Wohnungsbau bieten.

Diese Perspektive teilt ein Vertreter des Energiekonzerns PetroChina, wie er am 6. Mai gegenüber der Agentur Reuters äußert. Das Unternehmen erwartet aufgrund der Industrienachfrage für dieses Jahr bei den LNG-Importen der Volksrepublik ein Rekordniveau von 78-80 Mio. Tonnen. Der bisherige Spitzenwert ist aus dem Jahr 2021 mit 78,8 Mio. t. Doch bislang stagniert die Produktion in der staatlichen Schwerindustrie und es ist zweifelhaft, ob die neuen Infrastrukturprojekte noch in diesem Jahr einen nennenswerten Beitrag zum Wachstum leisten können. THE 2025 legt an diesem Tag jedenfalls zu auf 36,44 €/MWh.

Derweil stehen in der EU neue Sanktionen gegen Russland zur Diskussion, die nun erstmals direkt auf den LNG-Export des Landes abzielen. Zwar wollen einige EU-Staaten weiterhin LNG ex Russland importieren, insbesondere Frankreich. Doch sollen Tanker ex Russland Häfen in der EU nicht mehr für das Transshipment nutzen dürfen. Dieses ist erforderlich, um die auf -163 ℃ heruntergekühlten, mithin verflüssigten Moleküle von nur in geringer Zahl verfügbaren Eisbrecher-Tankern auf reguläre LNG-Tanker umzuladen. Das Ziel ist also, die Exportlogistik derart zu erschweren, sodass Russlands Einnahmen aus dem Geschäft zurückgehen, ohne dabei den Energieträger für die EU zu verteuern. Doch offenbar bestehen Zweifel unter den Regierungen der Länder Belgien, Deutschland und Frankreich. So wird am 21. Mai bekannt, dass die EU-Kommission zunächst ein Gutachten erstellen soll, ob eine solche Sanktion Russland tatsächlich mehr schaden werde als der EU. Es ist absehbar, dass vor den Europawahlen nicht mit einem Ergebnis zu rechnen ist.

Große Ungewissheit schwebt seit dem 21. Mai über dem LNG-Projekt Golden Pass in den USA. Denn der Hauptunternehmer des Bauprojektes Zachry Holdings hat Insolvenz beantragt. Ursächlich seien zahlreiche Änderungswünsche seitens der Entwickler QatarEnergy und ExxonMobil. Es bleibt unklar, wann ggf. mit einer Fertigstellung der Anlage zu rechnen ist. Die erste Jahreshälfte 2025 erscheint nun wenig realistisch, dabei sollte der erste Verflüssigungsstrang ursprünglich schon im Jahr 2024 den Betrieb aufnehmen. Das Unternehmen Zachry war auch an weiteren LNG-Produktionskomplexen am Golf von Mexiko beteiligt. Es entsteht der Eindruck, dass die US-amerikanische Industrie mit der Vielzahl der technisch sehr anspruchsvollen LNG-Projekte überfordert sein könnte. THE 2025 zieht steil an auf 38,45 €/MWh.

Weiter aufwärts geht es an den europäischen Gasmärkten am folgenden Tag, dem 22. Mai. Der österreichische Energiekonzern gibt bekannt, dass ein baldiges Ende der Gaslieferungen aus Russland via die Ukraine in die Alpenrepublik zu befürchten sei. Denn ein Schiedsgericht im EU-Ausland hat geurteilt, dass künftig Rechnungen von Gazprom an OMV nicht mehr gegenüber dem russischen Lieferanten beglichen werden dürfen, sondern ein nicht benanntes Unternehmen berechtigt sei, die Zahlungen zu erhalten. Damit würde mutmaßlich ein anderer Energiekonzern aus der EU für Lieferausfälle Gazproms, während der Energiekrise entschädigt, nachdem Russland beschlossen hatte, die Lieferungen an bestimmte Länder einzustellen. Sollte das Urteil in Österreich vollstreckt werden, dann ist ein baldiges Ende der Lieferungen absehbar. Die Mengen, die täglich via die Ukraine in die EU gelangen, entsprechen immerhin noch knapp einem Fünftel der Mengen, die Norwegen in den Raum Nordwest-EU liefert. In der Folge steigt THE 2025 am 23. Mai erstmals seit Anfang Dezember 2023 knapp über die Marke von 40,00 €/MWh. Bis zum Monatsende wird die Notierung bei diesem Wert wiederholt auf Widerstand treffen.

Preisdruck nach oben geht im Mai allerdings auch vom Wetter aus. Anhaltende Hitze in Südasien, vor allem in Teilen Indiens sowie in Thailand mit Temperaturen von bis zu mehr als 50 ℃ lassen den Stromverbrauch in der Region in die Höhe schnellen. Ungewöhnlich hoch ist in der Konsequenz die Nachfrage nach LNG der betroffenen Länder. Hinzu kommen Produktionsausfälle in Australien und Malaysia, die das Angebot vorübergehend verknappen.

So bleibt die Marktlage bis zum Monatsende angespannt und THE 2025 kostet am 31. Mai mit 38,60 €/MWh exakt 4,00 €/MWh mehr als noch Ende April. Im Vergleich der Monatsmittelwerte legt THE 2025 im Mai um 9,2 % zu. Deutlich schwächer fallen die Zugewinne bei den Kontrakten für die Folgejahre aus. THE 2026 legt um 3,3 % zu auf 32,11 €/MWh und THE 2027 bleibt weitgehend stabil mit einem Plus von 0,6 % auf 28,34 €/MWh.

LNG-Importe der EU nach Herkunft

LNG-Importe der EU nach Herkunft – Russland nach den USA zuletzt wichtigster Lieferant
(Quelle: Bruegel)

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