Energiemarkt-Kommentar: Neue Rallye katapultiert Strom-Frontjahr bis auf rund 75 €/MWh

ISPEX, Energiemarkt, Kommentar, Strom, Gas, Erdgas, Juli 2021

Von einer Sommerpause kann am Energiemarkt keine Rede sein. Obwohl der Aufwärtstrend nun schon seit mehr als sieben Monaten anhält, eilen die Kurse von einem mehrjährigen Rekord zum nächsten. Haupttreiber des Geschehens sind im Juni die Gaspreise – das Frontjahr legt im Monatsverlauf um 20 % zu. Das Strom-Frontjahr streift Anfang Juli vorübergehend die Marke von 75 €/MWh (Base).

Strombörse: Frontjahr legt im Monatsverlauf Juni rund 11 % zu

Preisentwicklung Strom Phelix Base und Peak für das Jahr 2022 (Quelle: EEX)

Strompreis, Beschaffung, Unternehmen, Strom, Preis, Börse, Juni 2021

Die ersten Junitage stehen noch unter dem Eindruck des Kurseinbruchs von Mitte Mai. Die Notierung für das Frontjahr fällt bis zum Ende des dritten Handelstages auf ihr Monatsminimum von 62,58 €/MWh (Base). Doch bereits eine Woche später hat der Kurs mit 66,75 €/MWh einen Großteil der Verluste des Vormonats ausgeglichen. In der zweiten Monatshälfte verstärkt sich die Aufwärtsdynamik sogar noch und der Kurs beendet den Juni mit 72,20 €/MWh auf dem höchsten Stand seit 2008. Im Gegensatz zum Geschehen im Mai, als Gas- und CO2-Preise sich gegenseitig und zugleich die Stromkurse mit nach oben trieben, ist die Entwicklung im Juni vorwiegend auf den Gasmarkt zurückzuführen.

Im Monatsmittel kostet das Strom-Frontjahr im Juni 66,66 €/MWh, ein Anstieg um 3,7 % gegenüber dem Vormonat. Das Kalenderjahr 2023 zeigt sich hingegen nahezu unverändert mit einem Plus von 0,4 %. Die Notierung für das Jahr 2024 verliert sogar leicht mit -1,3 %. In der Folge nimmt die Spreizung zwischen den Terminkursen weiter zu. So ist das Jahr 2023 gegen Ende Juni rund 9 €/MWh günstiger zu haben als das Frontjahr, beim Jahr 2024 beträgt die Differenz zeitweise mehr als 14 €/MWh.

Gasbörse: Frontjahr beendet Juni oberhalb von 25 €/MWh

Preisentwicklung Erdgas NCG für das Jahr 2022 (Quelle: EEX)

Gaspreis, Beschaffung, Unternehmen, Gas, Preis, Börse, Juni 2021

Am Gasmarkt beginnt der Juni für den Frontjahreskurs mit 21,28 €/MWh. In den folgenden Tagen fällt die Notierung vorübergehend leicht unter die Marke von 21 €/MWh. Das Monatsminimum von 20,82 €/MWh ist der niedrigste Stand seit dem Einbruch von Mitte Mai. Anschließend setzt eine Preisrallye ein, die fast ununterbrochen zum Monatsmaximum von 25,63 €/MWh am letzten Handelstag führt. Angeschoben wird der Markt vom kurzen Ende: Der Frontmonat notiert Ende Juni bei 33,46 €/MWh. Dies reflektiert die gegenwärtig knappe Versorgungslage. Zwar könnte die russische Gazprom kurzfristig mehr Transitkapazitäten über die Ukraine buchen. Aus politischen Gründen scheint das Interesse daran allerdings gering. In der Folge reagiert der Markt sehr volatil auf Meldungen, die eine weitere Anspannung oder eine Verbesserung der Situation verheißen. Wartungen an der norwegischen oder russischen Infrastruktur erhöhen den Preisdruck zusätzlich.

Das Frontjahr verteuert sich gegenüber dem Vormonat im Monatsmittel um 6,9 % auf 22,75 €/MWh. Die Jahre 2023 und 2024 verteuern sich vergleichsweise geringfügig mit 2,1 % bzw. 0,54 % auf durchschnittlich 18,97 €/MWh und 17,55 €/MWh.

Ausblick: Pläne der EU-Kommission für den CO2-Handel bereits „durchgesickert“

Anfang Juli folgt auf die Rallye eine scharfe Korrektur. Das Strom-Frontjahr (Base) fällt innerhalb eines Tages von ca. 75 €/MWh um rund 5 €/MWh, stabilisiert sich allerdings oberhalb von 70 €/MWh. Zeitgleich gibt das Gas-Frontjahr vorübergehend gut 2 €/MWh ab. Der Rückgang steht in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Korrektur am Öl-Markt, nachdem die letzten Verhandlungen der OPEC gescheitert sind.

Für Spannung an den europäischen Energiemärkten sorgt nun das Gesetzespaket „Fit for 55“, das die EU-Kommission kurz nach Fertigstellung dieses Artikels vorgestellt hat. Erste Entwürfe wurden allerdings schon vor ein paar Wochen informell verbreitet, vermutlich um erste Reaktionen zu testen. Zu den geplanten Änderungen zählt die Einrichtung eines neuen EU-Emissionshandelssystems (EHS), das die Brennstoffe für die Sektoren Gebäude und Verkehr betrifft. Vollumfänglich starten soll dieses allerdings erst im Jahr 2026.

Das neue Emissionsreduktionsziel bis 2030 (rot) für die compliancepflichtigen Unternehmen (Quellen: EEA, EU-Kommission, Eigene Berechnungen; Emissionen der EU-27, stationäre Anlagen)

Für die Börsenpreise für Strom und Erdgas bleibt indes das bestehende EHS relevant und maßgeblich für die CO2-Reduktionen, vor allem bis zur Mitte des Jahrzehnts. In das jetzige System soll nun auch die Schifffahrt integriert werden. Dessen Volumen von 90 Mio. Tonnen ist angesichts von knapp 1,4 Mrd. Tonnen ausgegebener Emissionsrechte im letzten Jahr überschaubar. Deutlich gravierender ist der Vorschlag der Behörde hinsichtlich einer Umbasierung des ‚Cap‘ – jene Menge an Emissionen, die pro Jahr von den betroffenen Unternehmen in ihrer Gesamtheit ausgestoßen werden dürfen. Diese Obergrenze soll einmalig in einem solchen Umfang reduziert werden, als wäre der Lineare Reduktionsfaktor (LRF) bereits seit dem Jahr 2021 höher ausgefallen als es bislang der Fall ist. Doch wie hoch der LRF künftig sein soll, folglich der Umfang der Umbasierung, wird einer der zentralen Verhandlungspunkte zwischen den EU-Regierungschefs bzw. zwischen EU-Rat und EU-Parlament. Daher ist noch weitgehend unklar, wie stark die Rolle des Energiesektors sowie der energieintensiven Industrien für die Realisierung der neuen Klimaziele sein wird. Der Vorschlag der EU-Kommission sieht für die betroffenen Unternehmen jedenfalls eine Reduktion der Emissionen von nun 61 % bis 2030 gegenüber dem Jahr 2005 vor. Dazu soll der LRF nahezu verdoppelt werden: Von aktuell 2,2 % auf 4,2 %.

Am Markt scheint sich inzwischen die Einschätzung durchgesetzt zu haben, dass ein CO2-Preis oberhalb von 55 €/t angesichts der fortbestehenden Ungewissheit – zumindest vorerst – zu hoch erscheint. Im Nachgang zu den Veröffentlichungen mag es allerdings noch einige Kursschwankungen geben.

Besonders schwer einzuschätzen ist derzeit das Geschehen am Gasmarkt. Die hohe Nachfrage aus Fernost nach Flüssiggas (LNG) verhindert weiterhin eine Entspannung der Lage in Nordwesteuropa. Erste Anzeichen, dass insbesondere die chinesische Nachfrage anfängt zu schwächeln, könnten zu deutlich fallenden Kursen führen. Gegen Ende des Sommers mögen die Chancen dafür zunehmen. Doch solange sich die Speicher in Europa auf einem niedrigen Niveau befinden und Russland sich wenig motiviert zeigt, seine Liefermengen vor Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu erhöhen, bleibt uns die hohe Volatilität voraussichtlich erhalten.

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