Kommentar: Die Krux mit dem Energieembargo

Der Überfall Russlands auf die Ukraine stellt die bisherige Zusammenarbeit Deutschlands mit seinem größten Energielieferanten grundlegend in Frage. Jeder Euro, der an Gazprom, Novatek, Rosneft und Co. überwiesen wird, unterstützt Volkswirtschaft und Staatswesen des Aggressors. Die Forderung nach einem Energieembargo scheint daher Mittel der Wahl, wenn man den Opfern schon nicht direkt zur Hilfe eilt. Ein abruptes Kappen der Importe von Gas, Öl und Steinkohle kann allerdings Folgen haben, die weder im Interesse Deutschlands noch der Ukraine sind.

Voraussetzungen für ein erfolgreiches Embargo sind eine Vielzahl von Ländern, die sich daran beteiligen sowie deren Fähigkeit, dieses auch langfristig durchzuhalten. Andernfalls könnte Russland diese Sanktion leicht umgehen oder sie wären lediglich ein vorübergehendes Liquiditätsproblem für den Staatshaushalt. Allein die Diskussion um ein Embargo zeitigt bereits unerwünschte Konsequenzen: Die steigenden Kurse lassen Moskaus Staatssäckel kräftig klingeln.

Im öffentlichen Diskurs kommt die Komplexität der globalen Energiemärkte zu kurz, was eine sachliche Bewertung verunmöglicht. Hierzu das Beispiel Rohöl: Es wird behauptet, genug Rohöl auf den Weltmärkten sei vorhanden, um die Liefermengen aus Russland zu ersetzen. So äußerte sich beispielsweise Jürgen Trittin im Deutschlandfunk („die Ölmärkte sind liquide“) und auch von Seiten der Wissenschaft wird diese Annahme mitunter nicht hinterfragt (z.B. Bachmann et al., EconPol Policy Report 36, März 2022). Tatsächlich exportiert Russland laut der Internationalen Energieagentur am Tag ca. 8 Mio. Fass Rohöl (bbl) und Raffinierprodukte – das Land ist der drittgrößte Exporteur weltweit nach den USA und Saudi-Arabien. Davon gehen ca. 60 % bzw. knapp 5 Mio. bbl/Tag nach Europa. Als Ersatzlieferländer kommen in erster Linie Saudi-Arabien, der Iran, die USA sowie Venezuela in Frage. Das arabische Königreich könnte nach Einschätzung der OPEC seine Produktion im laufenden Jahr um 2 Mio. bbl/Tag ausweiten. Allerdings zeigt sich das Land derzeit nicht willens dazu. Die USA sind zwar der größte Exporteur weltweit und die Anzahl der aktiven Ölbohranlagen nimmt kontinuierlich zu. Doch bewegen sich diese noch immer deutlich unter dem Niveau des Jahres 2020. Auch hier sind viele Produzenten aus Furcht vor einem erneuten Preisverfall wenig motiviert, ihre Fördermengen schneller zu steigern. Für dieses Jahr ist mit einem Zuwachs von 0,75 Mio. bbl/Tag in den USA zu rechnen. Mit jeweils 1 Mio. bbl/Tag könnten der Iran und Venezuela in die Bresche springen. Doch in beiden Fällen handelt es sich um Staaten, für die bereits ein Ölembargo westlicher Staaten in Kraft ist. Gerade Venezuela ist politisch hochgradig schwierig, da die Regierung von Maduro nicht allgemein anerkannt ist. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass es hier zu einer Verständigung mit der US-Regierung käme, würden die USA selbst das Schweröl des Landes benötigen, nachdem sie bereits ein Embargo über russisches Erdöl verhängt haben. Hinsichtlich dem Iran sind die Erfolgsaussichten hingegen besser, eine Wiederbelebung des Atomabkommens rückt in greifbare Nähe und die Steigerung der Ölexporte sind wesentlicher Bestandteil der Verhandlungen.

Im Falle eines Ölembargos wäre zwar theoretisch denkbar, dass China seine Importmengen aus Russland steigert und damit für Europa Mengen aus dem Nahen Osten frei würden. Im Ergebnis bedeutet das allerdings lediglich einen Austausch der Lieferanten, was wohl kaum im Sinne der Sanktion wäre. Praktisch würde der Effekt minimal ausfallen, denn Russland ist bereits einer der größten Öllieferanten Chinas und die Volksrepublik würde wohl kaum ihre bestehenden Geschäftsbeziehungen im Nahen Osten sowie mit Angola und Venezuela umfassend aufkündigen. In gewissem Maß würde China zwar russisches Öl zum Sonderpreis einkaufen und so von westlichen Sanktionen abermals profitieren. Doch werden die Entscheider in Peking darauf bedacht sein, keinen Sekundärsanktionen der USA ausgesetzt zu sein, falls der Eindruck entstünde, Xi Jinping eile Wladimir Putin zu Hilfe.

Selbst wenn global die Ölproduktion hinreichend gesteigert werden könnte, um russische Liefermengen zu substituieren, wären die Störungen massiv. Von heute auf morgen wäre allenfalls in Saudi-Arabien eine deutliche Steigerung der Produktion realisierbar. Kritischer Faktor ist kurz- bis mittelfristig obendrein die Anzahl verfügbarer Tanker, die sich vor dem Hintergrund der Pandemie bevorzugt in chinesischen Häfen stauen. Zudem lässt sich mit Rohöl kein Auto betanken, keine Heizung betreiben. So ist die Versorgungslage mit Diesel bereits stark angespannt: Der Kurs für schwefelarmes Gasöl zur Lieferung im Frontmonat ist seit dem Herbst (als die weltweite Dieselnachfrage einen neuen Rekord aufgestellt hat) von maximal rund 700 $/t auf zuletzt mehr als 1.000 $/t angestiegen. Zum Hintergrund: Um den Schwefel aus der Ölverbindung zu lösen, wird Erdgas benötigt. Bereits in wenigen Wochen könnte der Kraftstoff in Deutschland knapp werden – ganz ohne Embargo.

Unter Berücksichtigung ethischer Kategorien in Bezug auf die Situation in der Ukraine ist es nur konsequent, wenn wir Wohlstandsmenschen in den westlichen Industriestaaten im Auge behalten, welche Folgen galoppierende Energiekosten in anderen Teilen der Welt haben. Die hohen Erdgaskurse lassen die Düngemittelpreise schon seit Herbst explodieren. Der Ausfall russischer und ukrainischer Weizenexporte droht überdies schon jetzt, massive Hungersnöte auf dem afrikanischen Kontinent auszulösen.

Die deutsche Abhängigkeit von russischen Energieimporten herunterzufahren, lässt sich daher wohl nur schrittweise vollziehen.

Matthias Apel
ISPEX Energiemarktanalyst
energie@ispex.de

 

 
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