Die atomisierte Atomenergie?

Die Atomenergie ist tot – so zumindest der Tenor der deutschen Presselandschaft dieser Tage, aber auch die Zahlen sprechen eine immer deutlichere Sprache. Zwar werden in zahlreichen Ländern weiterhin neue Meiler gebaut und die Laufzeiten älterer Einrichtungen verlängert, doch insgesamt zeichnet sich ein klarer Abwärtstrend ab: Nur noch rund zehn Prozent der weltweiten Energieproduktion stammt aus Atomkraftwerken. Die Betreiber ringen um ihr Existenzrecht, dabei hätten sie schon vor Jahrzehnten ihr Potential nutzen können, um den Wandel zu unterstützen anstatt ihn auszubremsen. Das rächt sich jetzt.

Während Deutschland mit nur noch 15% Atomstrom auskommt und die Abschaltung der übrigen Meiler in greifbare Nähe rückt, deckt das Nachbarland Belgien immerhin gut die Hälfte seines Bedarfs mit der teuersten Energie der Welt – und bekommt deswegen zur Zeit massive Probleme. Denn zuletzt sind dort, das berichtet unter anderen der Spiegel, drei Reaktoren ausgefallen bzw. wurden aufgrund von Fehlern vom Netz genommen. Betroffen seien aber keine Altreaktoren, sondern neuere Modelle. Dies, so heißt es, gefährde den belgischen Atomausstieg, der 2015 beginnen und bis 2025 abgeschlossen sein soll, denn nun könne es sein, dass ältere Anlagen länger als geplant in Betrieb bleiben müssten – was ein zusätzliches Risiko bedeutet.

Auch in Deutschland und weltweit gibt es regelmäßig und in erschreckender Zahl Ausfälle, Unfälle oder Fehler in AKWs, die zu zeitweisen Zwangsabschaltungen führen und darauf hindeuten, dass das Märchen von der sicheren Atomenergie längst in die Geschichtsbücher gehört. Nur nimmt die Öffentlichkeit davon keine größere Kenntnis, weil kleinere Ereignisse naturgemäß weit weniger Aufmerksamkeit erhalten als Katastrophen wie Tchernobyl oder Fukushima.

Weil auch die fossilen Energieträger immer unrentabler werden und beispielsweise RWE weitere Kraftwerksabschaltungen plant, sieht das Manager Magazin die einstigen Marktgrößen im Stromsektor „im Schrumpfmodus“; im Hamburger Abendblatt zieht Matthias Popien Bilanz und verdeutlicht, dass der Alptraum auch nach dem Atomausstieg noch längst nicht vorüber ist, denn vielerorts ist völlig offen, wie mit den strahlenden Altlasten zu verfahren ist: „Angesichts der Gefährlichkeit des Atommülls bleibt nichts anderes übrig, als Gerichtsurteile zu ignorieren. Die Atomenergie beherrscht uns nun. Restlaufzeit: ein paar Hundert Jahre. Bis auch die letzte Strahlung abgeklungen ist.“ Ebenfalls im Hamburger Abendblatt sieht Franz Alt die Atomkraft als gefloppt an und drängt auf eine schnellere und energischere Umsetzung der Energiewende: „Die Atomlobby träumt von einer „Renaissance der Atomkraft“. Doch die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Das bestätigt soeben der neue World Nuclear Industry Status Report. Demnach fließen seit dem Jahr 2000 nur noch drei Prozent der gesamten Energie-Investitionen der Welt in die Atomenergie – und zugleich boomen die erneuerbaren Energien weltweit.“ Er verweist dagegen auf den Boom der Erneuerbaren.

Auch die taz weist auf die desolate Lage in Brunsbüttel hin, wo durch falsche Lagerung Fässer mit Atommüll rosteten und gefährliche Substanzen freisetzen. Spiegel Online prophezeit den „globalen Niedergang der Kernkraft“ und belegt das mit eindeutigen Zahlen, die zugleich aber auch zeigen, dass die globale Wende noch ein langer Weg ist: Zwar wurden seit 2002 weltweit 50 Reaktoren abgeschaltet, es sind aber trotzdem noch 388 aktiv; zwar produziert China „zehnmal so viel Ökostrom wie Atomstrom“, dennoch sind aber neue Anlagen in Arbeit – und wenn die Geschwindigkeit des Ausstiegs und die zu leistende Überzeugungsarbeit sich nicht vervielfachen, liegt das reale Ende der Kernkraft noch viele Jahrzehnte in der Zukunft.

Auch wenn Deutschland ein Energiewende-Vorreiter ist – schon kurz hinter der Grenze sieht es ganz anders aus. Das beste Beispiel ist der Nachbar Frankreich, der zwar auch an einer neuen Ausrichtung seiner Energiepolitik werkelt, einen wirklichen Wendewillen aber noch nicht erkennen lässt und unbeirrt an der Atomenergie festhält.