Energiemarkt-Kommentar: Norwegen drosselt Gasexport

ISPEX, Energiemarkt, Kommentar, Strom, Gas, Erdgas, Juli 2023

Eine drastische Kürzung der norwegischen Gasexporte beendet im Juni vorläufig den Abwärtstrend an den europäischen Strom- und Gasmärkten. Doch hohe Speicherstände und eine schwache Energienachfrage erhöhen zuletzt den Druck auf die Preise.

Strombörse: Neues Jahrestief im Juni

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Preisentwicklung Strom Phelix Base und Peak für das Jahr 2024 (Quelle: EEX)

An der deutschen Strombörse bestimmt im Juni in erster Linie ein plötzlicher Rückgang der norwegischen Gasexporte das Geschehen: Das Land weitet zur Überraschung der Marktteilnehmer mehrere Wartungen aus. Zusätzliches Aufwärtspotenzial bieten sich anbahnende Hitzewellen in Nordwesteuropa sowie Nordostasien, während hierzulande das Windaufkommen gegenüber dem Vormonat deutlich abnimmt.

Zu Monatsbeginn herrscht noch eine bearishe Stimmung vor: Der Stromkurs für das Frontjahr DE Base 2024 fällt am 1. Juni auf 118 €/MWh und damit auf den niedrigsten Stand seit Anfang März 2022. Dazu beigetragen haben schlechte Konjunkturdaten aus China und Deutschland sowie die Aussicht auf eine um bis zu 10 GW erhöhte Verfügbarkeit französischer AKW im kommenden Winter.

Am 9. Juni kommt es zur Trendwende nach oben, als bekannt wird, dass Norwegen mehrere bereits laufende Wartungen an seiner Gasinfrastruktur verlängert – DE Base 2024 steigt auf rund 134 €/MWh. Das Ausmaß der ungeplanten Ausfälle wird allerdings erst am 13. Juni vollständig klar. So wird die Gasaufbereitungsanlage Nyhamna mit einer Kapazität von knapp 80 Mio. m3/Jahr einen ganzen Monat lang zusätzlich außer Betrieb gesetzt als ursprünglich kommuniziert. Die Pipeline-Exporte in den Raum Nordwest-EU sind infolge der Wartungen bereits seit Mitte Mai um ca. 20 % gefallen. Für die Marktteilnehmer entsteht der Eindruck, dass der Energiekonzern Equinor auf diese Weise versucht, dem Preisverfall am Gasmarkt entgegenzuwirken. Zunächst mit Erfolg: Die Gaskurse legen kräftig zu und DE Base 2024 steigt am 15. Juni auf das Monatsmaximum von 153 €/MWh.

Im weiteren Monatsverlauf stabilisiert sich DE Base 2024 vorwiegend im Korridor von 138 €/MWh bis 145 €/MWh. Die schwierige Wirtschaftslage insbesondere in der EU und China rückt in dieser Zeit wieder verstärkt in den Fokus. Selbst die grassierende Hitze in Teilen Ostasiens sowie Europas sorgt nicht für eine Kursrallye – das globale LNG-Angebot ist weiterhin mehr als ausreichend. DE Base 2024 beendet den Monat Juni mit 143,71 €/MWh.

Im Monatsmittel kostet das Strom-Frontjahr im Juni rund 137 €/MWh. Trotz starker Kursschwankungen stagnieren die Terminkurse für die zwei kommenden Jahre im Monatsmittel gegenüber dem Vormonat: DE Base 2024 kostet ein halbes Prozent weniger als noch im Mai, während DE Base 2025 um 0,3 % geringfügig zulegt. Stärker ist hingegen die Veränderung bei DE Base 2026 mit einem Minus von 3,4 %.

Am Day Ahead-Markt kostet DE Base im Juni im Durchschnitt 94,76 €/MWh bei einem Erneuerbaren-Anteil von 62,7 % an der inländischen Stromerzeugung. Spotmarkt-Kunden zahlen somit im Juni 16 % mehr als noch im Mai. Aufgrund der hohen PV-Einspeisung liegen die Preise für die Spitzenlast (Peak) mit im Mittel 81,53 €/MWh deutlich unter jenem für die Grundlast.

Gasbörse: Frontjahr kostet im Juni 45 €/MWh bis 57 €/MWh

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Preisentwicklung Erdgas THE für das Jahr 2024 (Quelle: EEX)

Mit den Wartungsverlängerungen in der norwegischen Gasproduktion ziehen die Gaskurse im Juni steil an. Zu Monatsbeginn pendelt THE 2024 allerdings noch um die Marke von 45 €/MWh und damit so günstig wie seit Mitte März 2022 nicht mehr. Mit Bekanntwerden der ungeplanten Ausfälle in Norwegen setzt eine Rallye ein, welche die Notierung bis auf maximal 56,82 €/MWh am 15. Juni in die Höhe treibt. Anschließend verharrt THE 2024 volatil auf einem erhöhten Niveau. Unterstützung findet der Terminkurs im weiteren Monatsverlauf bei rund 52 €/MWh und nach oben wird die Marke von 56 €/MWh wiederholt angetestet. Die Gasnachfrage fällt in Deutschland derweil auf einen Tiefstand im laufenden Jahr von nur noch 1.278 GWh/Tag im Monatsmittel. Dies entspricht einem Rückgang von rund 18 % gegenüber dem mittleren Tagesverbrauch der Jahre 2018 bis 2021. Auf der Angebotsseite steht weiterhin ausreichend LNG zur Verfügung. So führt die Produktionskürzung in Norwegen letztlich nicht zu einer Verknappung des Energieträgers Erdgas. Das Aufwärtspotenzial bleibt begrenzt und THE 2024 beendet den Monat mit 54 €/MWh.

Im Monatsmittel kostet THE 2024 im Juni 52,88 €/MWh und damit 4,2 % weniger als noch im Vormonat. Das Folgejahr 2025 gibt im Durchschnitt um 5,3 % nach und THE 2026 notiert 4,7 % tiefer als im Mai.

Ausblick: Erste Anzeichen für Gasüberangebot

In Europa mehren sich die Anzeichen für eine Überversorgung mit Erdgas. So fallen die Kurse am THE Day Ahead-Markt seit Anfang Juli von 37 €/MWh bis auf zuletzt 26,45 €/MWh. Damit ist der Kurs nicht mehr weit entfernt vom bisherigen Minimum im laufenden Jahr in Höhe von 23,57 €/MWh am 2. Juni – kurz bevor Norwegen Wartungen an der Gasinfrastruktur unerwartet verlängert hatte. Die betroffenen Anlagen sind jetzt wieder in Betrieb. Erst ab Ende August soll die Exportkapazität des Landes abermals stärker gekürzt werden. Bemerkenswert ist zudem, dass der europäische Referenzkurs für Erdgas zur Lieferung im Frontmonat (Dutch TTF) in der KW28 erstmals seit Anfang Januar deutlich unter die LNG-Preise gefallen ist. Damit signalisiert der Markt am kurzen Ende eine Übersättigung, die sich auch an den schwachen LNG-Importzahlen Deutschlands ablesen lässt, die nur noch selten die Marke von 200 GWh/Tag überschreiten. Dennoch geht es mit der Gaseinspeicherung zügig voran: Per 15.  Juli ist der Speicherstand auf 83,9 % geklettert – ein Anstieg um knapp 2 Prozentpunkte im Laufe von einer Woche.

Norwegische Gasexporte, Nordwest-EU, Februar 2023, Juli 2023

Norwegische Gasexporte via Pipeline in den Raum Nordwest-EU legen nach Wartungen wieder zu
(Quelle: ENTSOG / ISPEX-Kompass)

Neue Wirtschaftsdaten aus China lassen nicht erwarten, dass sich der Wettbewerb mit Europa um den Energieträger LNG demnächst zuspitzt. Zwar ist das Wachstum der Industrieproduktion im Juni mit 4,4 % gegenüber dem Vorjahresmonat kräftiger ausgefallen als von vielen Analysten befürchtet. Dennoch zeigt das Wachstum der Wirtschaft insgesamt im zweiten Quartal von 6,3 % (gegenüber Vorjahresquartal), dass das Land vor großen strukturellen Problemen steht. Denn zur gleichen Zeit im Vorjahr befanden sich viele Metropolen des Landes in einem strikten Corona-Lockdown.

Auch in Deutschland dürfte die Gasnachfrage schwach bleiben. Zumal aktuelle Mittelfristprognosen für die Temperaturen bis Mitte August eher normale Werte in Aussicht stellen – ein erhöhter Kühlbedarf ist somit nicht zu erwarten.

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